Ausstellung

Group Show

A Feast of Friends

19 Okt — 14 Jan 2022

GOLESTANI ist erfreut, eine neue Ausstellung ankündigen zu dürfen, die mit Arbeiten dreier iranisch-stämmiger und nach New York ausgewanderter Künstler:innen ausgewählte Positionen zusammenführt, die heute die persische Kunst- und Kulturdiaspora in den USA repräsentieren. Ihr Ausgangspunkt ist trotz der so unterschiedlichen Werkformen dabei durchaus ein gemeinsamer: die Auseinandersetzung mit dem euro- und US-zentrischen Kunstkanon sowie traditioneller Motive des persischen Kulturraumes im digitalen Zeitalter der Globalisierung. So verbinden die drei Künstler:innen unterschiedliche Bildmotive oder Gestaltungstechniken, ergründen die Wechselbeziehung von analogen und digitalen Bildformen, um dadurch die Wirkmacht des Archives als kulturhistorische Quelle und Ausdruck von Erinnerungskultur sowie die Deutungshoheit über digitale Informationen zu ergründen und zu hinterfragen.

Shahrzad Changalvaees Installation „In Absentia, In Effigie“ thematisiert die ambivalente Beziehung zwischen Verbreitung von visuellen Informationen und dem Umgang mit Bildmaterial unterschiedlicher kultureller, historischer wie biografischer Hintergründe im digitalen „Migrationszeitalter“. In einem schwarzen Wasserbecken schwimmen Fotos aus dem privaten Archiv der Künstlerin, die sie mit gefundenem Bildmaterial kombiniert. Auf der Wasseroberfläche treiben fiktive Motive neben Biografischem, neben Ablichtungen historischer Ereignisse: iranische Folkloremotive treffen so auf abgelichtete Proteste, auf persische Schriftzeichen und englische Satzfetzen. Dieses Aufeinandertreffen unterschiedlicher kultureller Hintergründe und Codes, Zeiten und Orten löst die Motive vor dem dunklen Wassergrund aus ihren ursprünglichen Kontexten.

Die ursprünglich historisch unzusammenhängenden Motive sind Filmstills, die von einem Drucker am Kopfe einer Rampe in das Becken gleiten und so in einen neuen, gemeinsamen Kontext „wandern“. Der Bilderfluss reißt nicht ab, der Drucker produziert immer weiter. So steht der Prozess, die „Bild- und Inhaltsproduktion“ zentral. Dabei ist auch das gedruckte, ganz analoge Produkt bereits eine Transformation vom Filmscreenshot ins eingefrorene Still und schließlich ins haptisch fassbare Bild. Das serielle Arbeiten des Druckers und die Wiederholung von Bildmotiven bietet dabei eine visuelle aber inhaltlich nur vermeintliche Struktur im willkürlichen Strom der Motive.

Damit thematisiert Shahrzad Changalvaee (g. 1983 in Teheran) nicht nur den Prozess der Bildproduktion und Distribution, sondern auch der Deutungshoheit über das Bildmaterial. Diesen Prozess scheint der Titel „In Absentia, In Effigie“ der Arbeit aufzugreifen, der sich auf die symbolische Bestrafung flüchtiger Täter durch die Hinrichtung von deren Abbild bezieht. Diese Rechtspraxis der sogenannten „Bildnisstrafe“ widerfährt gewissermaßen metaphorisch auch den Bildmotiven in Changalvaees Installation. Die Biografie oder das historische Ereignis hinter dem Motiv scheinen in der willkürlichen Zusammenstellung ausgelöscht und abgetrennt vom ursprünglichen Kontext. Und doch bleibt dieser, wie der symbolisch durch sein Bild Hingerichtete, letztendlich unversehrt – aber scheint gleichzeitig nicht mehr greifbar.

Auch Nazanin Noroozis (g. 1985 in Teheran) Arbeiten bedienen sich Fotografien aus dem Familienarchiv, die die Künstlerin mit gefundenem Bildmaterial von Umweltkatastrophen und grafischen Elementen früher Computerspiele überschreibt. Die Bildkombinationen sind als kürzere Video zusammengebracht oder stehen als Papierarbeiten und Stills für sich alleine. Dabei zeichnen sie sich durch besonders expressive grafische Qualitäten aus. Die Linie kommt dabei sehr unterschiedlich daher: geschwungen, gestrichelt oder gepunktet umreißt und übermalt sie ausgewählten Fotomotive, verdeckt oder rückt sie in den Fokus. In den übermalten Fotografien werden etwa Landschaften von Ellipsen umschlossen, unter pastellenen Farbflächen schimmern Menschen hervor, deren historischer und biografischer, genauso wie geografischer Hintergrund auf den ersten Blick nicht offenkundig wird.

Bei genauerem Hinsehen wird einiges deutlicher: Geometrische Linien heben die Zerklüftungen und das grafische Potential sich türmender und zerklüfteter Gletscherformationen hervor. Wasserspiegelungen werden überzogen von Netzen aus grafischen Linien, die selbst wie lebendig gewordene Gitternetze einer Landkarte erscheinen. Unter die grafischen Elemente und Farbflächen mischen sich aber auch figurative Elemente. Motive kolorierter Gesteine überlappen andere Landschaftsformationen, scheinen in einer gemeinsamen Umlaufbahn um einen Eisberg zu schwirren. Mit den geografisch, geologisch und astrologisch anmutenden Bildelementen ruft Nazanin Noroozi eine Atmosphäre des Erkundens auf, verleitet zu einer Reise in eine nicht näher biografisch und geografisch verortbare Vergangenheit, die durch die Undurchsichtigkeit des historischen Bildmaterials immer vage bleibt.

Abdolreza Aminlaris (g. 1979 in Teheran) Auseinandersetzung mit grafischen Elementen der Webkunst schafft eine ganz eigene zeitgenössische Rezeption des Diskurses um Hochkunst und Handwerk im globalen Zeitalter. Goldene Zacken schimmern auf dem tiefblau gefärbten Grund seiner Papierarbeiten: Aminlari transformiert die Jahrtausende alte Handwerkskunst, indem er Goldfäden auf Papier verwebt und in den Kontext einer Gouache setzt. Der Einbezug handwerklicher Webtechniken auf Papier reicht dabei von 24-Karat-Goldfäden bis hin zur Verwendung von gewöhnlichem Garn. Dabei entspinnen sich Muster, die auf Abstraktionsstrategien des Suprematismus anzuspielen scheinen, um gleichzeitig Referenzen an die Jahrtausende alte Webtradition aus dem eurasischen, nordafrikanischen und persischen Kulturraum aufzurufen. So wirken die grafischen Elemente wie Kreuzungen folkloristischer und modernistischer Gestaltungsprinzipien: abstrahiert, bruchstückhaft, seriell – und doch einer ganz eigenen Formsprache folgend, die auch aus der Architektonik schöpft, aber ohne konkrete Vorbilder auskommt.

Aminlaris holt so mit seinen Gouachen in die Gegenwart, was abstrakten Ausdrucksformen seit Jahrtausenden eigen ist und seit der klassischen Moderne wieder neu fasziniert: die räumliche Ambilvalenz der Abstraktion. Die mitunter harsche Fragmentierung lässt Aminlaris seriell gereihten Grafikelemente je nach Standpunkt zwischen Zwei- und Dreidimensionalität changieren. So stehen die Goldfäden als grafische Linien flach für sich alleine, während das Haptische der Goldfäden eine greifbare Tiefe in den Bildraum bringt. Die Muster scheinen sich nahezu in offenem Raum zu winden, obwohl sie doch fest am Bildhintergrund haften, ihn wortwörtlich durchbrechen. Die unterschiedlichen Blautöne bringen zusätzliche Tiefe in den Bildgrund, dessen Fläche aber gerade durch die Fäden als Zweidimensional ausgewiesen wird.

Dabei schafft Aminlari in deutlich figurativeren Arbeiten auch absurde bis humoristische Momente. Etwa, wenn er einerseits caroonartige, andererseits elegant umrissene Phalli wie eigenständig agierende Lebewesen unter vermenschlichenden Titeln wie „Circle Jerk“ oder „Kiss“ sich miteinander winden oder als Gruppe unter dem Titel „Chorus“ zusammenkommen lässt. Das traditionell so verpönte und bildunwürdige Motiv des Phallus wird durch die nahezu royal wirkende Präsentation in Gold und Blau nach Ansicht des Künstlers zu Symbolen der Männlichkeit und der Queerness erhoben. Themen, die in den patriarchal geprägten Strukturen der globalen Gesellschaften noch stets abstoßen oder anziehen.


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Abdolreza Aminlari (g. 1979 in Teheran) erkundet die Schnittstelle zwischen zeitgenössischem Handwerk und sozialer Praxis, in Abstimmung mit Ideen zur interkulturellen Verbreitung und Rezeption von Stickerei, Farbe und Wert der Arbeit. Aminlari lebt in Brooklyn, New York und erhielt seinen BFA vom College for Creative Studies, Detroit. Seine Arbeiten wurden national und international ausgestellt, darunter O Gallery Teheran; SITUATIONS, New York; Andrew Rafacz, Chicago; Taymour Grahne, New York; das Derfner Judaica Museum, New York; KVKM Kunstverein Köln, Longhouse Projects, New York. Sein Tapisserie-Set zu „Gesang an das noch namenlose Land“ wurde in Zusammenarbeit mit der Musikerin Katharina Rosenberger gezeigt in Basel, Schweiz; Hannover, Deutschland; Schlettstadt, Frankreich; Schlosskirche, Deutschland; und New York City. 2012 erhielt er die SIM Residency in Reykjavik, Island. Seine Arbeit wurde unter anderem in der New York Times erwähnt und vom Wall Street Journal, Art News, Art Asia Pacific und BBC Persian rezensiert. Im Jahr 2021 wurde Aminlari von Dieu Donné eingeladen, handgeschöpftes Papier für seine bevorstehende Einzelausstellung mit Andrew Rafacz, Chicago im Jahr 2022 zu kreieren.

Nazanin Noroozi (g. 1985 in Teheran) ist eine Multimedia-Künstlerin, die Bewegtbild, Druckgrafiken und alternative photographische Entwicklungsprozesse einbezieht, um Vorstellungen von kollektivem Gedächtnis, Verdrängung und Fragilität zu reflektieren. Noroozis Arbeiten wurden sowohl im Iran als auch in den USA ausgestellt, darunter im Rahmen der Immigrant Artist Biennial, im Noyes Museum of Art, NY Live Arts, und Columbia University. Sie erhielt Auszeichnungen und Stipendien der Artistic Freedom Initiative, der Elizabeth Foundation for the Arts, des NYFA IAP 2018, der Mass MoCA Residency, North Adams,MA, und der Saltonstall Foundation for the Arts Residency, NY. Noroozi absolvierte ihren MFA in Malerei am Pratt Institute und lebt in New York. Ihre Arbeiten wurden in verschiedenen Publikationen und Medien veröffentlicht, darunter BBC News Persian, Elephant Magazine, Financial Times und Brooklyn Rail.

Shahrzad Changalvaee (g. 1983 in Teheran) ist Bildhauerin und Performance-Künstlerin. Ihre Arbeiten nach ihrer Migration werden hauptsächlich durch gefundenes Material erzeugt. Durch Strukturen, die meist zeitlich, fragil und fragmentiert sind, konstruiert sie Erzählungen, die Kommunikation, Information und Exotik in Frage stellen. 2015 erhielt Changalvaee ihren MFA in Skulptur an der Yale University, und zuvor 2006 den BA in Visueller Kommunikation an der Teheran University. Changalvaees Arbeiten wurden in mehreren Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, darunter Chimney NYC, Soho 20, Brooklyn, O Gallery, Teheran; sowie der Shanghai Biennale. Changalvaee lebt und arbeitet in Brooklyn, New York.

Die Ausstellung wird gefördert durch das Bundesministerium für Kultur und Medien im Rahmen des Programms NEUSTART KULTUR. Ausstellungsbegleitend ist online ein Viewing Room zugänglich, zudem erscheint ein Katalog. Zur Ausstellungseröffnung am 19. Oktober wird ab 18 Uhr herzlich in die Galerie eingeladen.