Ausstellung

Group Show

Aber Bitte mit Sahne

1 Mai — 5 Juni 2021

GOLESTANI ist erfreut, eine neue Ausstellung mit Installation, sozialer Plastik, Skulptur und Assemblage von Jody Korbach, Lawrence Ferlinghetti, Mercedes Neuß und Rüdiger Wich ankündigen zu dürfen. Zur Ausstellung wird herzlich eingeladen.

Konsum, Spießbürgertum und politische Verdrossenheit in der Öffentlichkeit und im vermeintlich Privaten: Die Ausstellung „Aber Bitte mit Sahne“ widmet sich der künstlerischen Praxis des gesellschaftspolitischen Kommentars — der seit den Nachkriegsjahren in den USA wie in Westdeutschland von essentieller Bedeutung für Kunstschaffende und den bildwissenschaftlichen Diskurs ist. Der künstlerische Kommentar steckt traditionell im Impliziten wie Expliziten. Er zeigt sich in den gängigen Gattungen von Bildkunst und Literatur mit Humor, ist bierernst und beides zugleich, und sucht sich seit den 50er Jahren stetig neue Ausdrucksweisen.

Ganz im Sinne des Erweiterten Kunstbegriffs erhebt Rüdiger Tschibbi Wich Alltägliches zum politisch motivierten Kunstwerk, zur Parole und damit zum Kommentar selbst, der direkt in die öffentliche Masse zielt. Der ehemalige Beuys-Schüler hat mit seinen sozialen Plastiken Kommentare geschaffen, die sich weit von traditionellen Formen in Bildkunst und Literatur entfernt haben. So wird etwa eine rote Kellnerjacke aus Satin von 1976, der Wich Material der Documenta 6 anheftete, zur wortwörtlich wandelnden Sozialkritik.

Die Jacke mit dem Schriftzug der Deutschen Kommunistischen Partei wird als ehemaliger Teil von Joseph Beuys‘ Installation „HONIGPUMPE AM ARBEITSPLATZ“ und Aushängeschild der Free International University zum Sinnbild der Demokratisierung von Bildung und Meinung, die nicht mehr nur in etablierten Formaten und verstaubten Institutionen ihren Platz haben. Überkleben und Hinzufügen — auch das handwerkliche Konzept hinter Wichs Jackencollage steht in sozialkritischer Tradition von Papierarbeiten aus der Weimarer Republik, in der Bild und Schrift sich über die Gattungsgrenzen hinweg ergänzen und bereichern, gar eine gemeinsame neue Gattung erschaffen.

Dieses Ineinandergreifen von Bild und Schrift – die sich nicht mehr wie im traditionellen Wettstreit der Bild- und Wortkünste, dem paragone, als Feinde übertrumpfen wollen, sondern zusammenwirken – ist Kern der Bildsprache, die auch der verstorbene amerikanische Autor und Herausgeber Lawrence Ferlinghetti aufgreift. Mit seiner Serie von Blättern kommentiert er Buchseiten des Ulysses, indem er sie bemalt und somit Wort und Bild in ein komplexes Wechselspiel treten lässt.

Dabei stellt sich die Frage, was Ferlinghetti mit seinen Kommentaren aus schwarzen Strichen überhaupt vollzieht: Bemalen oder Übermalen, Erweitern oder Unkenntlichmachen? Das Verhältnis von Abbildung und Schrift bleibt zweideutig. Der Kommentar – nicht alleine wörtliches Phänomen – wird noch stets primär als schriftliche Gattung verstanden. Ferlinghetti dreht diese gebräuchliche Bedeutung ins Bildliche um, indem er in Form von Darstellungen dem Text der Buchseiten eine Ergänzung beifügt: mit einem Gesicht aus lockeren schwarzen Pinselstrichen – wohl einem Porträt des Odysseus –, das die Worte zum Bild werden lässt und somit eine neue Ebene öffnet.

Die Künstlerin Jody Korbach dreht das Prinzip des Kommentierens wiederum in eine andere Richtung. So besprüht sie etwa eine Gelsenkirchener Barockkommode als einerseits typisches und andererseits veraltetes, westdeutsches Statussymbol mit dem neongelben Schriftzug „Edeka“ — einem Wort, das seit dem Wirtschaftswunder der 60er Jahre für Konsum als Identifikationsangebot, Zufriedenheits- und Wohlstandsgarant steht.

Auch mit ihren Wertmarkencollagen, die sie mit schwarzen Schriftzügen versieht, bedient sich Korbach diesem künstlerischen Prinzip, das das Einkaufen als Heilsversprechen und Lebensgefühl der westdeutschen Mittelschicht entlarvt. Dabei wird die Völlerei zum Zeichen der Leistungsgesellschaft: Mit Darstellungen von Apfel, Wurst und Käse, dem wiederkehrenden Edeka-Emblem sowie weiteren Referenzen der Konsumgesellschaft liefert Korbach humoristische bis satirische Kommentare auf die kleinbürgerliche Idylle der Bonner Republik und das Zeitgeschehen in der heutigen BRD.

Auch Mercedes Neuß‘ Arbeiten spielen mit dem Wert, der bestimmten Gegenständen als Statussymbol in der (westdeutschen) Gesellschaft zugewiesen wurden. Ihre Skulptur dreier Wölfe erinnert in Zusammenschau mit Korbachs Arbeiten an miniaturisierte Messingskulpturen, die auf den Holzschränken großelterlicher Wohnungen thronen. Doch Neuß greift ein, eines der Wolfsbeine fehlt. Diese Ent-Stellung wirft die Frage auf: Was ist aus der biederen Idylle von Oma und Opa geworden?

Das Aufgreifen dieser spießbürgerlichen Referenzen treibt Jody Korbach auf die Spitze. Ihre künstlerische Untersuchung von Wert- und Tauschsystemen, Konsumikonographie und Heraldik legen die berüchtigte Abgestumpftheit und Konsumfixierung der deutschen Mehrheitsgesellschaft offen, die lieber von Schlemmerei, Sauferei und Belustigung auf Schützenfesten, Dorfkirmes und einer Heile-Welt-Heimat-Romantik träumt, als für die großen Zukunftsfragen wie den Klimawandel ihre Bequemlichkeit und Statussymbole aufzugeben, die ihnen in der Nachkriegszeit eingetrichtert wurden. Udo Jürgens metaphorischen Klacks Sahne gibt Korbach ihrer Collage aus Kaffee- und Kuchenmarken mit einem CDU-Logo noch oben drauf.


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JODY KORBACH (g. 1991 in Bielefeld) hat das Studium der Freien Kunst bei Tal R, Christopher Williams und Johannes Paul Raether an der Kunstakademie Düseldorf als Meisterschülerin von Christopher Williams abgeschlossen. Ihre Arbeiten waren im Malkastenverein und in der Filmwerkstatt Düsseldorf sowie im Neuen Aachener Kunstverein zu sehen. 2017 wurde Korbach für den NRW.BANK Kunstpreis nominiert.


LAWRENCE FERLINGHETTI (g. 1919 in Yonkers, New York; verst. 2021 in San Francisco, Kalifornien) war US-amerikanischer Schriftsteller, Dichter der Beat-Generation und Maler. Berühmtheit erlangte er für die 1958 erschienene Gedichtssammlung "A Coney Island of the Mind", die in neun Sprachen übersetzt und millionenfach gedruckt wurde. Ferlinghetti studierte an der Universität von North Carolina in Chapel Hill sowie an der Columbia University, und promovierte an der Sorbonne mit einer Arbeit über das Symbol der Stadt in der Dichtung der Moderne. Bereits 1956 verlegte er Allen Ginsbergs Gedichtband "Howl", wofür er wegen des obszönen Inhalts verhaftet wurde — sowie Diane di Primas "This Kind of Bird Flies Backward". Ferlinghettis Werk hinterfragt die Bedeutung von Kunst und die Rolle des Künstlers in der Welt. Über sich selbst sagte Ferlinghetti, er sei „im Herzen ein Anarchist“ — eine Zuordnung zu den Poeten der Beat-Generation wies er jedoch ab. Ferlinghettis Schaffen wurde mehrfach ausgezeichnet, ihm wurden internationale Ehrungen zuteil, 2003 wurde er ob seiner herausragenden Verdienste um die amerikanische Literaturgemeinschaft in die American Academy of Arts and Letters aufgenommen. Lawrence Ferlinghetti starb im Februar 2021, einen Monat vor seinem 102. Geburtstag, in seinem Haus in San Francisco.


MERCEDES NEUSS (g. 1987 in Düsseldorf) hat das Studium der Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf als Meiterschülerin von Katharina Fritsch abgeschlossen. Ihre Arbeiten wurden im Museum KIT – Kunst im Tunnel, bei PricewaterhouseCooper, im LWL-Industriemuseum Hattingen, bei Hogan Lovells, bei Bayer Kultur in Leverkusen und im Malkastenpark in Düsseldorf ausgestellt. 2010 wurde Neuß mit dem Rölfs Partner Künstlerstipendium sowie 2014 mit dem Stipendium Vordemberge-Gildewart ausgezeichnet.


RÜDIGER WICH (g. 1940 in Freiburg i. Br.) hat das Studium der Kunst bei Dieter Roth, Joseph Beuys und Karl Bobek als Meisterschüler an der Kunstakademie Düsseldorf abgeschlossen. Wichs Arbeiten wurden ausgestellt im Kunstverein Frankfurt a. M., im Kunstverein Hamburg und in der Kunsthalle Düsseldorf und waren im Museum Schloss Moyland sowie in der Domschatzkammer Aachen zu sehen. Rüdiger Tschibbi Wich war Gründungsmitglied von „Leben in der Fabrik e.V.“ sowie des Kunstraum Düsseldorf, und Tutor der halb-autonomen, durch fristlose Kündigung lehrerlosen Beuys-Klasse.

Die Ausstellung ist derzeit ausschließlich im Viewing Room zu sehen. Eine Ausstellungsbesichtigung vor Originalen ist bis auf Weiteres nicht möglich.



Photo
Mercedes Neuss/Ivo Faber