Ausstellung

Judith Kisner

I Put a Spell On You

16 APR — 29 MAY 2022

GOLESTANI ist erfreut, eine neue Ausstellung mit Werken von Judith Kisner ankündigen zu dürfen, die sich dem historischen Loheland-Siedlungsprojekt widmen – einem Zentrum für Kunst und Intellektualismus, das vor einem Jahrhundert als Raum für Frauen gegründet wurde, um Kunst, Bewegung, Arbeit, Freizeit und Lernen zu verbinden. Zur Ausstellungseröffnung am Samstag, den 16. April 2022 wird herzlich in die Galerie eingeladen.

Judith Kisners Collagen lassen sich als visuelle Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem sogenannten „Amazonenstaat“ Lohelandsiedlung begreifen. Dieses 1919 gegründete Frauenkollektiv in der hessischen Rhön verstand sich über gut hundert Jahre als Freiraum für Frauen. Die Siedlung galt den „Loheländerinnen“ in der Weimarer Republik und weit darüber hinaus nicht nur als Rückzugsort vor der bürgerlichen und später nationalsozialistischen Gesellschaft. Die Siedlung ermöglichte Frauen im Sinne einer holistischen Utopie auch das Ausleben von materieller wie spiritueller Freiheit und Unabhängigkeit von ihren meist bürgerlichen Herkunftsfamilien und den patriarchalen Gesellschaftstrukturen – ein Konzept von Frauen für Frauen, das zu Gründungszeiten wohl seinesgleichen suchte.

So war die Siedlung „Loheland“ nicht nur Lebensraum, sondern diente auch der Berufsqualifizierung von Frauen, unter anderem über Gymnastikschulungen und die Beschäftigung in Fotowerkstätten. Das Kollektiv brachte in diesem Zusammenhang auch zahlreiche künstlerische Postionen für Tanz und bildende Künste hervor und pflegte unter anderem Korrespondenz mit Mitgliedern des Bauhauses. Dass die Lohelandsiedlung bis heute besteht und jahrzehntelang Anzugspunkt für an Holismus und Reformpädagogik interessierte Frauen in der BRD war, reflektieren die Collagematerialien Kisners, die sich ausführlich mit dem historischen Hintergrund der Siedlung und ihrer Bewohnerinnen auseinandergesetzt hat.

Judith Kisners Arbeiten überführen inhaltlich wie visuell das Konzept der Siedlung als Arbeits-, Schaffens- und Lebensraum, als alternativer Freiraum für Frauen, ins Format der Collage. Die Künstlerin schafft mit ihren Zusammenstellungen unterschiedlichster Recherchematerialien ein Zusammentreffen zwischen Zeichnungen und Fotografien, Skizzen und Notizen, die nicht nur einen losen inhaltlichen, sondern auch formal-ästhetische Bezüge zueinander aufbauen. Schwarz-Weiß und Bunt, Schrift und Farbauftrag: Wie eine Sammelstelle kombinieren Judith Kisners Collagen auf den ersten Blick unzusammenhängende Motive und Materialien, deren inhaltliche Resonanz aus der Aufarbeitung der Lebens- und Arbeitsverständnisse der „Loheländerinnen“ in der Rhön resultiert.

So gibt Kisner in ihren collagierten Archiven insbesondere dem spirituellen und weltanschaulichen Selbstverständnis der „Loheländerinnen“ Form: Geometrische Zeichnungen und Skizzen treffen auf Notizen zu offenbar anthroposophischen, astrologischen, heilpädagogischen oder esoterischen Konzepten, die konkret oder im übertragenden Sinne dem ganzheitlichen Programm der „Lohelandsiedlung“ entsprachen. Die Bezüge sind mannigfaltig: Eine Schwarz-Weiß-Aufnahme des Schweizer Goetheanums der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft findet Eingang, ebenso wie einzelne Blätter getrockneten Laubes, Unendlichkeitssymbole oder eine mit der Zeit verblassende Bescheinigung für eine Gymnastikausbildung im „Loheland“.

Ein Teil des Freiheitskonzeptes der „Amazonen“ der Lohelandsiedlung war die selbstgewählte Abgeschiedenheit der Provinz mit all den daraus resultierenden Erleichterungen wie Unannehmlichkeiten, das Leben in Einklang mit und Abhängigkeit von der Natur. In Kisners Collagen findet getrocknetes Laub ebenso Verwendung wie Naturfotografien und Abbilder von steinernen Siedlungsbauten, die die „Loheländerinnen“ aus Materialien der unmittelbaren Umgebung bauten. Wie beim für die „Amazonen“ so wichtigen Tanz und die Beobachtungen der Naturregungen, bilden die Motive in den einen Werken Kisners einen bewegten, losen Reigen, in anderen stehen sie sich starr symmetrisch gegenüber, werden übermalt oder stehen für sich alleine in der weißen Leere des Bildgrundes.

Auch Judith Kisners teils auffallend graphische Malerei ist von einer Auseinandersetzung, von einem wortwörtlichen Umreißen der Natur geprägt. Mit skizzierender und schraffierender Linie sucht und schafft Kisners Pinsel das Organische im Abstrakten – oder eben umgekehrt. So ist Kisner in der Lage, aus schwarzen wie farbigen Strichen, durch das reine Andeuten von Schwüngen und Zacken, Landschaften vom weißen Leinwandgrund hervortreten zu lassen. Anmutungen an Gipfel, Bäume, Hügel und schweben im leeren Bildraum, dessen Weißfläche mitunter die Profile der Vegetation schärft. Von wildem Strich übermalt, liegen Formen wie abgetrennt hinter einem Schleier farbiger Schraffierungen oder transparenten Farbnebeln. Andere Linien bleiben unterdessen von der Form gänzlich losgelöst, sodass das Verorten und gedankliche Zusammensetzen der abstrakten Striche immer ein offenes Bemühen ohne Abschluss bleibt.


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Judith Kisner (1983 in Hulst, Niederlande) studierte Malerei in der Klasse von Tal R an der Kunstakademie Düsseldorf sowie an der HfBK Hamburg bei Jutta Koether, wo sie 2019 mit MFA abschloss. Kisner wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter zuletzt 2021 der Kunstpreis der Sparkassen-Kulturstiftung, 2020 der Clausen-Simon-Stiftung, 2019 das Deutschlandstipendium, Förderpreis Bildende Kunst, sowie 2018 ein Förderpreis der HfBK Hamburg. Ihre Arbeiten wurden ausgestellt in der Wasserburg Sachsenhagen, Atelierhaus Trittau, c/o Schocke, Hamburg; Arti et Amicitae, Amsterdam; HfBK Hamburg; Pragovka Gallerie, Prag; Golden Pudel Club, Hamburg; W139, Amsterdam; Tonenton Gallery, Kopenhagen; Suzhou Art Museum; Shenyang Lu Xun Academy of Arts; OK. Terrain, Hamburg; Sichuan Institute of Fine Arts, Sichuan; Benzene, Hamburg; CFA Gallery, Berlin