Ausstellung

Group Show

Solo

31 Jul — 29 Aug 2020

Der Blick aus dem Fenster erhellt die Welt nicht mehr. Er hält sie auf Distanz. Die erhabene Übersicht, die zentralperspektivische Klarheit, die der Architekt und Kunsttheoretiker Leon Battista Alberti im 15. Jahrhundert zur Grundbedingung von Malerei stilisierte, indem er das neue Bild als Illusion des Blickes durch ein «offenes Fenster» definierte, ist nicht mehr hoch und zentralperspektivisch. Aber immer noch rechteckig. Statt Licht und Luft hereinzulassen, sind die Arbeiten dieser Ausstellung oft opak und voller Textur.

Leinwände sind bei Stefan Theissen nicht nur Grund, sondern Objekt und erinnern an Gardinen, die innen und außen nur scheinbar trennen. Sie transformieren Farben und Formen zu surrealen Teppichen, die verunklaren, wo wir uns befinden: Vor oder hinter einem Fenster? Oder sind wir nicht immer vor oder hinter einem Fenster, wenn man die Rahmenstruktur unserer Umwelt ernst nimmt, die längst auch ubiquitär in Rechtecken denkt? Vor Stefan Theissens Leinwänden reißt man die Augen auf, erkennt nichts, kneift sie zusammen und staunt das Bild im Fremdwerden an.

Auf Hanna Kusters Arbeiten kann man manchmal sogar stehen, sie bietet dem Betrachter einen Boden an. Aber sie zeigt auch, dass ein Standpunkt nicht reicht, um zu entziffern: Zu viele Rahmen, zu viele Zeichen, die Flächen bilden, um sie uns gleich wieder zu nehmen. Sie zeigt, dass Rahmung nicht nur an den Rändern der Leinwand passiert: Jedes Fenster, jede Tür, jede vertikale, horizontale oder diagonale Linie ‚rahmt‘ etwas, begrenzt, kategorisiert es. Hanna Kuster sprengt es mit Farbe, lässt Räume mit Rot verbinden, erlaubt kurzen gelben Linien ein Seil zu sein, das eine blaue Masse halten kann. All das funktioniert natürlich nicht. Es funktioniert nicht, wenn es nicht Malerei ist.

Florian Bittner mag den Ausschnitt. Den Ausschnitt als Anschnitt, weil er am ehesten dem Blick entspricht. Ein Blick, der wie die anderen Positionen mit Strukturen arbeitet, ohne in ihnen aufzugehen. Seine Bilder zeigen, dass Licht und Sichtbarkeit verbunden sind, das wir nur das sehen können, was das Licht uns offenbart. Herta Wolf schrieb, dass es DIE Fotografie gar nicht gebe, sondern DAS Fotografische und meinte damit, dass wir Fotografie nicht nur als Medium, sondern auch als Verfahren betrachten sollten. Als Verfahren, das Licht braucht, so scheinen Florian Bittners körnige Bilder zu antworten. Denn was sind wir, wenn nicht das, was das Licht von uns behauptet?

– Dr. Anja Schürmann